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16.10.2010

Versicherbarkeit von Nanotechnologie offen - Umfassendes Risiko-Monitoring statt eines Blindflugs ist vonnöten.

Es ist unbestritten, dass in der Versicherungswirtschaft kaum je eine Gefahr so stark unterschätzt wurde wie Asbest. Der Umgang mit Nano-Materialien ist von der Assekuranz auch nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, wie im Folgenden dargelegt wird.

Synthetische Nano-Materialien kommen in vielen Konsum- und Industrieprodukten vor. Weil Risikodaten noch wenig belastbar sind und Langzeiterfahrungen fehlen, stellt sich immer mehr auch die Frage der Versicherbarkeit. Wie andere Neuerungen, etwa die Atom- oder Gentechnologie, birgt die Nanotechnologie Chancen und neue Risiken. Um sie für die Wirtschaft berechenbar und nachhaltig nutzbar zu machen, ist die Versicherbarkeit eine notwendige Vorbedingung.

Ein komplexes Risikoprofil

Versicherungsprämien werden in aller Regel nach Grösse und Wahrscheinlichkeit der Risiken berechnet. Dies setzt belastbare Risikodaten und eine Erfahrung über den Schadenverlauf voraus. Im Fall von neuartigen, synthetischen Nano-Materialien fehlen aber verlässliche Langzeitstudien, und die Daten zu Umwelt- und Gesundheitsrisiken sind erst wenig belastbar. Immerhin: In bestehenden Policen einer Industrieversicherung in Europa sind Nano-Materialien und damit auch Nanotechnologien implizit mit versichert.

In den USA, die einen Schritt weiter sind, zeichnen sich schon Sonderbehandlungen für "nano" ab. Ein US-Versicherer bietet spezielle Policen für die Hersteller an und für diejenigen, die Nano-Materialien in Verkehr setzen. Eine andere US-Versicherung hat kurzzeitig Kohlenstoff-Nano-Röhrchen aus der Deckung ausgeschlossen, weil diese ihrer Einschätzung nach im Verdacht stehen, Asbestose auszulösen.

Im Vergleich mit anderen Technologien ist das Risikoprofil von Nanotechnologien und Nano-Materialien aus folgenden Gründen komplexer:

  • Der Begriff "nano" gibt nur eine Grössenordnung (10-9 m) an. Stoffliche Eigenschaften, Anwendungen und Expositionen werden nicht beschrieben. Die Definition dazu, was in "nano" wirklich steckt, fehlt.
  • Stoffe, die eine Nano-Dimension aufweisen, unterliegen keiner rechtlichen Sonderbehandlung. Besondere Eigenschaften nanoskaliger Materialien werden somit nicht berücksichtigt. Informationsdefizite entlang der Lieferkette und fehlende Deklaration führen zu blinden Flecken im Gesundheits- und Umweltschutz. Dies ist aus Ressourcen-Gründen vor allem für viele (KMU-)Anwender problematisch.
  • Die öffentliche Wahrnehmung ist kontextabhängig: Nanotechnologien werden zwar bei neuen Anwendungen positiv wahrgenommen, bei verbrauchernahen Produkten (etwa Lebensmitteln) ist die Haltung der Öffentlichkeit aber mehrheitlich skeptisch.

Freie Nanopartikel als Gefahr

Die besonderen Eigenschaften von Nano-Produkten beruhen teilweise auf der Verwendung von künstlich hergestellten Nanopartikeln. Solange diese Partikel in eine stabile Schicht eingebunden sind, sind sie für Mensch und Umwelt unproblematisch. Freie, ungebundene Nanopartikel können hingegen in die Umwelt freigesetzt werden oder über die Atmung, die Verdauung oder die Haut in den Körper gelangen.

Die human- und ökotoxikologischen Risiken von freien Nanopartikeln sind erst ansatzweise bekannt. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass biozide Nanopartikel wie Silber oder Zinkoxid ein Umweltrisiko darstellen könnten. Gesundheitsrisiken für den Menschen werden vor allem bei lungengängigen Nanopartikeln diskutiert. Im Tierversuch wurde bereits gezeigt, dass faserförmige Kohlenstoff-Nano-Röhrchen in der Lunge ähnliche Wirkungen haben können wie Asbest.

Bei der Risikoabschätzung von Nano-Materialien muss dem komplexen Risikoprofil Rechnung getragen werden. Neben neusten Daten zu Umwelt- und Gesundheitsrisiken sind auch die gesellschaftlichen (Perzeptions-Risiken) und die politisch-rechtlichen Aspekte (Regulierungs-Risiken) zu berücksichtigen, die bisher im Risikomanagement kaum beachtet wurden. Ein neuer, in Zusammenarbeit mit der Industrie entwickelter Ansatz eines "360°-Risiko-Monitorings" könnte diese Lücke schliessen. Produktspezifische Risikodaten werden nach dem Stand von Wissenschaft und Technik in einem "Risiko-Cockpit" aggregiert, aktualisiert und dokumentiert.

Das Unternehmen verfügt damit über aktualisierte Entscheidungsgrundlagen und gleichzeitig über ein wirksames Instrument zur Abwehr von späteren Haftungsklagen. Im Schadenfall kann bewiesen werden, dass ein Schaden nicht vorausgesehen werden konnte. Hersteller und In-Verkehr-Bringer von Nano-Konsumprodukten kommen damit auch ihrer Pflicht zur Beobachtung ihrer bereits auf dem Markt befindlichen Produkte nach, wie sie das neue Gesetz für Produktsicherheit (PrSG) seit dem 1. Juli 2010 festschreibt.

Das Risikoprofil der Nanotechnologien wird sich kurzzeitig nicht drastisch verändern, und die Unsicherheiten in Bezug auf potenzielle Langzeitschäden (vgl. Asbest, Biozide) werden bestehen bleiben. Die Eigenverantwortung der Industrie und das proaktive Risiko-Monitoring stehen dabei im Zentrum. Auch die Versicherer kommen nicht um das Thema der Nanotechnologien und die Selektion "guter Risiken" herum.

Für Versicherungen sind Kunden mit einem funktionierenden Risikomanagementsystem "gute Risiken". Es ist gut denkbar, dass Versicherungen in Zukunft auf Kunden setzen, die ein umfassendes, nanospezifisches Risikomanagementsystem pflegen und dieses auch regelmässig zertifizieren lassen. Damit liessen sich unnötige Ausschlüsse und Prämienverluste bei den Versicherungen vermeiden, und für die Industrie würde Sicherheit zu einem Verkaufsargument.