Französisches Nano-Dekret könnte in weiteren Ländern Schule machen
Ein aktueller Artikel im PHI-Magazin des Rückversicherers GenRe berichtet über das Dekret zur Registrierung von Nanomaterialien, welches das französische Umweltministerium kürzlich erlassen hat. Dieses führt zur europaweit ersten, verbindlichen Berichtspflicht über Nanomaterialien, bereits ab sehr geringen Mengen. Vor dem Hintergrund mangelnder Informationen zu Nanomaterialien könnte diese Initiative in auch in anderen Ländern Schule machen.
Frankreich beschliesst europaweit erste Berichtspflicht für Nanomaterialien ab 2013
Das französische Umweltministerium hat im Frühjahr ein Dekret zur Registrierung von Nanomaterialien erlassen. Dieses führt eine verbindliche Berichtspflicht über Nanomaterialien ab 2013 ein. Davon betroffen sind Unternehmen und Organisationen, z. B. Universitäten, die Nanomaterialien herstellen, importieren oder vertreiben und dabei ein jährliches Aufkommen von mehr als 100 Gramm Nanomaterialien verzeichnen. Damit wird erstmals eine grössere Regulierungslücke für nanoskalige Materialien geschlossen. Durch die vorgeschriebene Offenlegung von Daten zu Nanomaterial-Mengen und deren Verwendung soll für Behörden die Identifikation von Nanomaterialien, ihren Handelswegen und Mengenflüssen ermöglicht werden. Gleichzeitig soll die Abschätzung von potenziellen Risiken am Arbeitsplatz und für die Gesundheit der Bevölkerung in Frankreich verbessert werden.
Unternehmen müssen die Datensammlung ab 2012 aufnehmen
Für Unternehmen und Organisationen, die mit Nanomaterialien operieren, wird erstmals am 1. Mai 2013 ein Bericht fällig, in dem die Nanomaterial-Daten aus 2012 verzeichnet werden. Aktivitäten aus dem Vorjahreszeitraum sind in diesem Bericht offenzulegen. Die französische Berichtspflicht erhält somit bereits unmittelbare Wirkung. Die französische Nationale Agentur für Lebensmittelsicherheit, Umwelt und Arbeit (ANSES) sammelt und verwaltet die eingereichten Daten. Ebenso ist eine Publikation der Erhebungen vorgesehen. Besondere Vertraulichkeitsbedingungen können nur mit besonderer Begründung für den Bereich Forschung und Entwicklung (F&E) geltend gemacht werden. Folgende Informationen müssen bereitgestellt und sollen öffentlich verfügbar gemacht werden:
- Identität des hergestellten, importierten oder gehandelten Nanomaterials,
- Verwendung des Nanomaterials,
- hergestellte, importierte oder gehandelte Mengen des Nanomaterials,
- Identität des Verwenders.
Im Jahr 2007 wurde in Frankreich ein Runder Tisch „Grenelle de l‘environnement“ eingerichtet. Stakeholder von staatlicher Seite, regionalen Administrationen, Industrie, Arbeitnehmern, Nichtregierungsorganisationen und Wissenschaft haben sich der Vermeidung von Risiken durch die Herstellung und Verwendung von synthetischen Nanomaterialien verschrieben. In diesem Zusammenhang wurden Art. 42 und 185 des Umweltgesetzbuchs erarbeitet, die auch die Grundlage für das vorliegende „Grenelle“-Dekret bilden.
Definition von Nanomaterialien
Das Dekret schliesst sich bei der Definition von Nanomaterialien dem Vorschlag der EU-Kommission bzw. der REACH-VO (REACH, KOM, 1907/2006, Art. 3) an. Unter einem Nanomaterial wird eine „Substanz mit dem Status Nanopartikel“ definiert, die „absichtlich hergestellt wurde und Partikel in nanometergrosser Dimension, in ungebundenem Zustand, als Aggregat oder Agglomerat enthält. Dabei müssen mindestens 50 % der Nanopartikel in einer oder mehreren Dimensionen Grössenabmessungen von 1 bis 100 Nanometern aufweisen.“ In besonderen Fällen, in denen Gefahr für Umwelt, Gesundheit oder Sicherheit besteht oder eine Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit vorliegt, kann der Mindestwert des Anteils an der Größenverteilung auf 1 - 50 % gesenkt werden.
Das Dekret regelt, dass Modifikationen wie Fullerene, Graphen-Flocken und einwandige Kohlenstoff-Nanoröhrchen (analog zur Definition der EU-Kommission) ebenfalls unter diese Regelung fallen, wenn eine oder mehrere externe Dimensionen kleiner als ein Nanometer sind. Dabei spielt es keine Rolle, ob freie Nanomaterialien in einer Mischung enthalten oder in Komposite eingebunden sind. Entscheidend ist, ob sie bei Gebrauch freigesetzt werden könnten.
Der französische Alleingang im internationalen Kontext
Das Dekret aus Frankreich ist unserer Meinung nach besonders bedeutend, weil es erstmalig in Europa eine generelle Berichtspflicht für Nanomaterialien einführt. Keine andere Regelung in anderen Ländern oder auf EU-Ebene geht bislang so weit. Der Aquis Communautaire der EU führt bisher nur sektoriell, z. B. in der Kosmetikbranche, eine Deklarationspflicht für Konsumentenprodukte (ab 2013) ein. Die französische Nano-Verordnung regelt hingegen alle Nanomaterialien, unabhängig von ihrem Anwendungsfeld. Verglichen mit der Mengenregelung in der REACH-VO (Art. 23), die überschritten werden muss, um unter die Informationspflicht zu fallen (> 100 t/a bis 1. Juni 2013; > 1 t/a bis 2018), wurde hier die Schwelle für Nanomaterialien dramatisch gesenkt. Damit fallen auch bspw. Forschungslabors von Universitäten, die mit Kleinstmengen umgehen, unter die Deklarationspflicht. Die französische Regelung geht damit in einem wichtigen Punkt sehr viel weiter als die REACH-VO. Sollte das Beispiel aus Frankreich Schule machen, könnten restriktivere Bestimmungen auch in anderen Ländern oder auf internationaler Ebene folgen.
Bedeutung des „decret francais“ für die Versicherungswirtschaft
Die mannigfaltigen Anwendungsmöglichkeiten der Nanotechnologien bergen ein enormes wirtschaftliches Potenzial. Das Wissen über Umfang und Verteilungsketten von künstlich hergestellten Nanomaterialien ist jedoch nur begrenzt vorhanden. Konsumentenorganisationen und Politiker fordern deshalb seit langem eine verbesserte Information über Gefahrenpotenziale, Toxizität und Umweltgefährdung von Nanomaterialien. In vielen Ländern wird in diesem Zusammenhang ein Produktregister gefordert, das die Auflistung von Nanomaterialien verbindlich und transparent machen würde.
Für Behörden und Versicherer stellen die fehlenden Daten über Menge und Verbreitung von Nanomaterialien in Produkten und Prozessen erhebliche Probleme dar. Es ist derzeit unmöglich, die Verarbeitungs- und Handelswege von Nanomaterialien quantitativ und qualitativ nachzuvollziehen. In PHi 6/2011 hat Charly Kingdollar im Artikel „Kleine Teilchen – grosse Wirkung: Nanotechnologie“ ausgeführt, dass ein Ausbleiben bisheriger Schäden durch Nanomaterialien zwar erfreulich ist, dass dies jedoch keineswegs bedeute, dass Nanomaterialien generell unbedenklich seien. Kingdollar rief Versicherer zur Informationssammlung über die Nanomaterial-Verwendung ihrer Versicherten und zum Monitoring auf. Mithilfe dieser Daten solle dann das Expositions-Risiko für Arbeitnehmer und Konsumenten besser eingeschätzt werden können.
Fazit
Ob die Nanomaterial-Daten der französischen Behörden dereinst öffentlich zugänglich sein werden und welchen Nutzen sie für externe Stakeholder haben werden, ist momentan noch offen. Die regulatorischen „Zähne” des Dekrets sind zudem nicht sehr scharf. Bei einer Zuwiderhandlung gegen das Dekret droht lediglich eine Busse von EUR 3.000. Dennoch könnten Versicherer von der Regelung profitieren. Denn das französische Dekret wird viele Unternehmen und Forschungseinrichtungen zwingen, diese Daten zu erheben. Damit sind diese Informationen im Unternehmen verfügbar und stehen prinzipiell auch für Versicherer, z. B. bei Abschluss oder Erneuerung einer Police, zur Verfügung. Durch die gesetzliche Verankerung der Berichtspflicht könnte sich damit auch die Informationsgrundlage für Versicherer deutlich verbessern.
Quelle: Haftpflicht international - Recht und Versicherung 2012, Nr. 3: 92-93.
Gesetzes-Text: http://www.legifrance.gouv.fr/affichTexte.do?cidTexte=JORFTEXT000025377246&dateTexte&categorieLien=id
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