Nano-Medizin für Ungeborene
Einem Schweizer Forscherteam ist es gelungen, ein neues dreidimensionales Zellmodell der menschlichen Plazentaschranke zu entwickeln. Das «Modellorgan» liefert schnell und zuverlässig neue Erkenntnisse zur Aufnahme von Substanzen wie Nanopartikel über die Plazentaschranke und zu möglichen toxischen Effekten auf das ungeborene Kind. Dieses Wissen kann künftig auch zur Entwicklung neuer Therapieansätze während der Schwangerschaft eingesetzt werden.
Der sich entwickelnde Fötus ist äusserst anfällig auf giftige Stoffe. Schon kleinste Dosen können gravierende Schäden anrichten. Das ungeborene Kind davor zu schützen, ist eine der Aufgaben der Plazenta, eine Barriere, die Giftstoffe «herausfiltert», den Fötus gleichzeitig aber mit den notwendigen Nährstoffen versorgt. Es gibt allerdings in den letzten Jahren immer mehr Belege dafür, dass die Plazentaschranke nicht 100% dicht ist und, dass bspw. gewisse Nanopartikel die Barriere überwinden können.
Da die Funktion und Struktur der menschlichen Plazenta einzigartig ist, sind Studien an schwangeren Säugetieren problematisch und wenig aussagekräftig. Bisherige Modelle der menschlichen Plazentaschranke sind entweder sehr zeitaufwändig oder stark vereinfacht.
Gerne nutzt man für solche Untersuchungen eine gespendete Plazenta, die nach der Geburt des Kindes per Kaiserschnitt entnommen wird. Sie wird schnellstmöglich an eine Perfusionsanlage angeschlossen, die das Gewebe mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt. Dieses Gewebemodell ist zwar das genauste, also das klinisch relevanteste Modell, es ist aber technisch sehr anspruchsvoll und funktioniert nur sechs bis acht Stunden. Ausserdem kann man mit einer Plazenta zwar testen, ob ein bestimmter Nanopartikel die Plazentaschranke überwindet; welchen Aufnahmeweg die Partikel nehmen, lässt sich in diesem komplexen Organ jedoch kaum untersuchen.
Daher greifen Forscher gerne zu einfachen Zellkulturen und anderen Modellsystemen. Ein einzelner Zelltypus, etwa eine Epithelzelle, wird in einer Kulturschale gezüchtet, vermehrt und eignet sich so hervorragend für verschiedenste Experimente. Allerdings können die Forscher nie sicher sein, dass sich die Zellen in der Petrischale genau so verhalten wie im menschlichen Körper. Das neue Modell, das ein Empa-Team um Tina Bürki Ende letzten Jahres in der Fachzeitschrift «Nanoscale» vorgestellt hat, ist dreidimensional und besteht aus mehreren Zelltypen. Die Zellen befinden sich hier in einer gewebeähnlichen Umgebung analog zur Plazenta und erlauben Experimente über einen längeren Zeithorizont.
«Wir wollen mit dieser Forschung die Grundlage für eine schonende, aber dennoch wirksame Nanomedizin während der Schwangerschaft liefern», so Bürki. Kennt man die Transportmechanismen von Nanomaterialien durch die Plazentabarriere genau, dann liessen sich daraus neue Carrier-Systeme für Therapeutika auch für Schwangere entwickeln. Denn auch während der Schwangerschaft müssen viele Frauen Medikamente einnehmen, etwa Epilepsie- oder Diabetes-Patientinnen, aber auch, wenn eine bedrohliche Infektion vorliegt. Dazu müsste man Nano-Carrier wählen, die die Plazentabarriere nicht durchdringen können. Zusätzlich könnte man sie beispielsweise mit «Adressetiketten» versehen, so genannte Targeting-Moleküle, die dafür sorgen, dass der Medikamenten-Shuttle zum richtigen – zum erkrankten – Organ transportiert wird und die Plazenta überhaupt nicht durchdringt. So würde das Medikament dann in erster Linie in der Mutter freigesetzt werden. Die Dosis, die den Fötus oder Embryo erreicht, und somit auch das Risiko für das ungeborene Kind, könnten stark reduziert werden.