Nanozwerge als Tumorkiller
Chemotherapie ist oft das Mittel der Wahl im Kampf gegen Krebs, doch die Nebenwirkungen sind massiv. Eine neue Methode könnte sie künftig minimieren: In Nanopartikeln verkapselt sollen Wirkstoffe Tumorzellen gezielt abtöten. Der Patient wird geschont.
Haarausfall, Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Verlust von Wimpern und Augenbrauen, Infektanfälligkeit – die Liste der möglichen Nebenwirkungen bei einer Chemotherapie ist lang. Viele Krebspatienten leiden unter den starken Begleiterscheinungen der Behandlung. Um das Wachstum des Tumors zu stoppen und auch resistente Zellen zu zerstören, werden hochdosierte Zytostatika unter die Haut gespritzt oder intravenös verabreicht. Der Wirkstoff ist umso effektiver, je häufiger sich Zellen teilen. Dies trifft vor allem bei bösartigen Tumoren zu. Aber auch gesunde Schleimhaut- und Haarzellen teilen sich schnell. Sie werden daher ebenfalls angegriffen. Wissenschaftler suchen seit langem mit Hochdruck nach einer Therapie, die Tumorzellen gezielt abtötet und gesundes Gewebe nicht schädigt. Mit einer neuen Methode wollen Forscher vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung IAP in Potsdam den Teufelskreis durchbrechen: Sie verwenden Nanopartikel als Transportvehikel für den Krebs-Wirkstoff. Da die Partikel aufgrund ihres Aufbaus Zellen ähneln, eignen sie sich, um Arzneistoffe gezielt zum Tumor zu schleusen, dort anzudocken und bösartige Zellen effizient zu eliminieren.
Bei den winzigen, 200 bis 250 Nanometer großen Wirkstoffträgern setzen die Forscher auf hydrophobe, nicht wasserlösliche Lipidcarrier. Sie sind biologisch abbaubar, nach der Anwendung zersetzen sie sich im Körper. Polymere stabilisieren die Nanohülle, die mit Erkennungsmolekülen bestückt ist, die besonders gut mit Tumorzellen wechselwirken. Die Hülle der Nanoteilchen – Experten nennen sie Vesikel – ist chemisch ähnlich der einer Zelle aufgebaut. Die Wissenschaftler beladen diese Carrier mit Doxorubicin, einem in der Chemotherapie häufig verwendeten Krebsmedikament. Das Tensid Sodium Tetradecyl Sulfat (STS) sorgt dafür, dass der Wirkstoff besser aufgenommen wird.
Die Wirksamkeit ihrer Methode konnten die Forscher bereits in Labortests nachweisen. »Bei den in-vitro-Tests haben wir Gebärmutterhals-Tumorzellen (HeLa) und Dickdarmkrebszellen (HCT116) verwendet, da diese sehr unterschiedlich auf Doxorubicin reagieren. Im Gegensatz zu HeLa-Zellen sind HCT116-Zellen empfindlich gegenüber dem Wirkstoff. Die Untersuchungen haben wir – wie in Kliniken – mit pharmakologisch re-
levanten Dosierungen durchgeführt. Das Doxorubicin wurde der Zellkultur unverkapselt und in Nanocarriern verkapselt hinzugefügt«, erläutert Dr. Joachim Storsberg. Er hat die neue Therapie gemeinsam mit Dr. Christian Schmidt und Nurdan Dogangüzel vom IAP sowie in enger Zusammenarbeit mit Kollegen aus der Pharmazie, Prof. Dr. Mont Kumpugdee-Vollrath und Dr. J. P. Krause von der Beuth University of Applied Sciences in Berlin, entwickelt.
Chemotherapie verträglicher machen
Das Ergebnis der Labortests: Nach drei Tagen überlebten 43,3 Prozent der HeLa-Zellen unter der Zugabe von 1 Micromolar (µM) unverkapseltem Doxorubicin. Wird der Wirkstoff in Vesikeln verkapselt hinzugefügt, überleben hingegen nur 8,3 Prozent der bösartigen HeLa-Zellen. »Der Arzneistoff in der Nanohülle wirkt fünfmal effektiver«, sagt Storsberg. Dies lässt sich auch bei den Tests mit den Dickdarmkrebszellen beobachten: Hier überleben nach zwei Tagen 46,5 Prozent der HCT116-Zellen bei der Gabe von 0,1 µM Doxorubicin, während nur 13,3 Prozent der bösartigen Tumorzellen bei der Zugabe des verkapselten Wirkstoffs nicht eliminiert werden. Bei keinem der Tests wurden die gesunden Zellen angegriffen. »Mit Nanopartikeln als Trägerzellen ist eine wirkungsvollere und zugleich geringere Dosierung möglich. Dadurch und durch die zielgenaue Zufuhr des Wirkstoffs werden gesunde Zellen geschont und Nebenwirkungen minimiert«, ist Storsberg überzeugt. Ein weiteres Testergebnis: Das Verkapselungsmaterial ist nur in Kombination mit dem Wirkstoff wirksam. Unbeladen greift es die empfindlichen HCT116-Zellen nicht an. Mit ihrer Methode können Storsberg und sein Team sowohl untersuchen, wie effektiv ein verkapselter Arzneistoff wirkt, als auch wie »giftig« das eigentliche Nanomaterial ist. »Das gibt es bis dato so noch nicht«, betont der Chemiker.
Ihre Ergebnisse stellen die Forscher vom 28. bis 30. Oktober auf der Konferenz Nanotech Dubai 2013 vor. Jedoch erst wenn in-vivo-Experimente ebenfalls erfolgreich verlaufen sollten, können klinische Testreihen mit Krebspatienten vorbereitet werden.
Quelle: Fraunhofer Institut (deutsch), Nanowerk (englisch)
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