Neues aus der Forschung zu Risiken und Chancen der Nanotechnologie
Das Risiko eines Stoffes oder Materials wird bestimmt durch seine Gefährlichkeit sowie die Wahrscheinlichkeit einer Exposition, sei es für Menschen oder andere Lebewesen in der Umwelt. Für die Bewertung des Risikos von Nanomaterialien sind kürzlich zwei wichtige Veröffentlichungen erschienen.
Sind Nanomaterialien gefährlich?
Die Frage, wie gefährlich Nanomaterialien für den Menschen aber auch unsere belebte Umwelt eigentlich sind, beschäftigt die Forschung schon seit mehr als zwei Jahrzehnten. Die winzig kleinen Partikel existieren natürlicherweise, sie entstehen unabsichtlich durch menschliche Aktivität oder sie werden absichtlich für diverse Zwecke hergestellt. So werden Nanomaterialien in zahlreichen Industrieprodukten wie Sonnencrèmes, Textilien, Medizinalprodukten oder elektrischen Geräten genutzt. Nanotechnologie gilt als eine Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts, weshalb davon auszugehen ist, dass die Verwendung von Nanomaterialien in der Zukunft weiterwachsen und somit die Menge, die unabsichtlich in die Umwelt gelangt, zunehmen wird. Zur Beantwortung der Frage der Gefährlichkeit von Nanopartikeln für Mensch und Umwelt sind kürzlich zwei umfassende Veröffentlichungen erschienen.
Werden Nanomaterialien über die Nahrung aufgenommen?
Die Giftigkeit eines Stoffes alleine reicht nicht aus, um seine Gefährlichkeit zu bestimmen. Die Wahrscheinlichkeit zu ertrinken ist äusserst gering, wenn ich es meide, in den See, das Meer oder einen Pool zu springen. Eine Expositionsanalyse ist somit der zweite massgebliche Bestandteil der Risikoanalyse.
Bei Exposition gegenüber möglicherweise gefährlichen Stoffen schützt der Körper Organismen immer noch relativ gut, eine Aufnahme ins System und anschliessende Verteilung ist aber durchaus möglich. Über die Haut, durch die Atmung oder über den Verdauungstrakt könnten Nanomaterialien im Körper zirkulieren und möglicherweise (langfristige) Schäden an Zellen und Organen anrichten. Aus dem EU-Projekt Nanofase ist nun eine Publikation hervorgegangen, die besonders umfassend bestimmt hat, wie gut die Barriere des Verdauungstrakts einer grossen Anzahl von Spezies vor Nanomaterialien schützt. Die Analyse beinhaltet Daten zu diversen Lebewesen, darunter Insekten und anderen Wirbellosen, Fischen, Vögeln und Säugetieren. Zudem stellten die Forschenden eine Wissenslücke für Reptilien und Amphibien fest. Bei denjenigen Lebewesen, für die Daten vorhanden sind, bildet der Verdauungstrakt, über Jahrtausende durch die Evolution geformt, laut Angaben der Autoren eine hervorragende Barriere, welche vor potenziell schädigenden Fremdstoffen schützt.
Einige Wirbellose, zum Beispiel Regenwürmer, besitzen hingegen spezialisierte, so genannte Wanderzellen, welche Nanomaterialien aufnehmen und an der Darmwand anlagern können. Damit steigt das potenzielle Risiko durch die erhöhte Expositionswahrscheinlichkeit. Für Wirbeltiere (zu denen der Mensch zählt) ist dieser Prozess jedoch nicht vorhanden.
Die Studie ist von grosser Bedeutung, weil sie das riesige zoologische Wissen der letzten ungefähr 100 Jahre mit neueren Erkenntnissen zur Dynamik und Gefährlichkeit von Nanomaterialien kombiniert. Ganz entwarnen kann die Studie jedoch leider nicht: Gefährliche Stoffe können sich entlang der Nahrungskette anreichern und so über längere Zeiträume und eventuell an unerwarteten Stellen dennoch Schaden anrichten.
RiskGONE – Whitepaper - Mit Risikobewertung zum vollen Potenzial
Nanotechnologien können auf der anderen Seite auch verbesserte Materialien hervorbringen, die weniger Ressourcen brauchen oder Prozesse effizienter machen. Vor dem Hintergrund globaler klimatischer Veränderungen müssen solche Möglichkeiten in Betracht gezogen werden, um auf die Ziele der nachhaltigen Entwicklungen zu erreichen. – vielleicht sind Nanotechnologien dafür unverzichtbar. Damit dieses Potenzial voll ausgeschöpft werden kann, muss auch eine wissenschaftlich fundierte Risikobewertung stattfinden. Im Hinblick auf die seit Anfang diesen Jahres gültigen Anpassungen in REACH bezüglich Nanomaterialien, schaffen Experten des EU-Projekts RiskGONE im Whitepaper «Risk Governance of emerging technologies demonstrated in terms of its applicability to nanomaterials” einen Überblick zum aktuellen Stand der Risikobewertung und beleuchten zudem die theoretischen Grundlagen für das Nano-Risikomanagement. Trotz Fortschritten in der Risikobewertung von Nanomaterialien sei nach wie vor keine verlässliche Methodik für Risikomanagement vorhanden, wie die Autoren feststellen. Aus diesem Grund schlagen sie einen Rahmen zum wirksamen und transparenten Umgang mit Risiken vor. Zur Implementierung und praktischen Umsetzung dieses Rahmens wird zudem ein europäisches Gremium in Verbindung mit RiskGONE sowie zwei weiteren Projekten, Gov4Nano und NANORIGO, erschaffen. Dies soll es erlauben, das Potenzial der Nanotechnologie vollumfänglich und mit wissenschaftlich fundierter Risikobewertung zu nutzen. Die Autoren des Whitepapers heben zudem hervor, dass die von ihnen vorgeschlagenen Tools auch für Neuartige Materialien und Technologien verwendet werden könnten. Somit bildet die Studie einen wichtigen Ausgangspunkt für die Zukunft der Risikoforschung.
Autor: Alex von Wyl
Quellen:
Environmental Science: Nano - The gut barrier and the fate of engineered nanomaterials: a view from comparative physiology
Small - Risk Governance of Emerging Technologies Demonstrated in Terms of its Applicability to Nanomaterials