Winzige Medikamente in der Umwelt
Die Nanomedizin macht Fortschritte. Doch die winzigen Nanopartikel, die als Träger für Medikamente erforscht werden, könnten in Zukunft ihren Weg in Gewässer, Erdreich und die Luft finden. Empa-Forscher ergründen mögliche Risiken
Angst ist ein schlechter Ratgeber. Im Comic mag sich der Gallier-Häuptling Majestix davor fürchten, dass ihm der Himmel auf den Kopf fällt. In einer realen Welt aber sollten Risiken mit kühlem Kopf bewertet werden. Damit Risikoabschätzungen nicht emotional bestimmt werden, sondern zu angemessenen Entscheidungen führen, analysieren Wissenschaftler das Gefahrenpotenzial etwa von Substanzen oder Technologien mit Hilfe von Modellen. Empa-Forscher ermitteln derzeit die Risiken einer relativ neuen Stoffklasse aus winzigen Materialien: Medikamente aus Nanomaterialien. Bekannt ist bereits, dass manche herkömmlichen Pharmaka, nachdem sie eingenommen oder auf die Haut aufgetragen wurden, in die Umwelt gelangen. In der Tierwelt können beispielsweise Hormon-ähnliche Stoffe zu dünnschaligen Vogeleiern, Fruchtbarkeitsstörungen bei Fischen und Populationseinbrüchen bei Ottern führen.
Kleine Partikel, grosse Aufgaben
Die Nanomedizin meldet indes bereits vielversprechende Erfolge mit neuen Medikamenten. Mit Nano-Diamanten überwinden Mediziner die Blut-Hirnschranke, und mit Gold-Nanopartikeln kämpfen sie gegen Krebs. Den winzigen Teilchen scheint keine Aufgabe zu gross. Wenig weiss man hingegen bisher über die Risiken dieser Art von Nanomaterialien, sobald sie in die Umwelt gelangen.
Empa-Forscher um Bernd Nowack von der Abteilung «Technologie und Gesellschaft» in St. Gallen berechnen derzeit die Risiken dieser Nano-Medikamente. Das Team ist unter anderem am internationalen Forschungs- und Innovationsprojekt «BIORIMA» beteiligt. Das interdisziplinär angelegte Projekt erarbeitet das Risikomanagement von Nanobiomaterialien für Mensch und Umwelt und wird von «Horizon2020», dem Forschungs- und Innovationförderprogramm der EU unterstützt.
Schicksal im Körper
Risikoanalysen sind grundsätzlich eine Funktion von Gefährdungspotenzial und Exposition. Mit anderen Worten: Ein hochgefährlicher Stoff, dem niemand je ausgesetzt ist, birgt ebenso wenig Risiko wie eine harmlose Substanz, mit der man ständig in Kontakt kommt. Um aber die Risiken neuer Stoffe exakt abzubilden, ermitteln Forscher zunächst den Grenzwert, bei dem eine Substanz gerade keinerlei schädigende Auswirkungen mehr hat, sowie die zu erwartende Freisetzung in die Umwelt. Diese Angaben sind allerdings nicht trivial, da hier zunächst das Schicksal des Medikaments im Körper und sein Weg bis in die Kläranlagen und von dort aus ins Wasser und damit in die Biosphäre ermittelt werden muss. Und einmal in die Umwelt entlassen, verändern sich beispielsweise Polymere, indem sie durch biologische oder physikalisch-chemische Zersetzung zu kleineren Bausteinen zerlegt werden. Neben pharmakologischen Studien nutzen die Forscher hierzu die Analyse von Materialflüssen und mathematische Umweltmodelle. «Für die meisten Nanobiomaterialien sind bisher keine verlässlichen Schätzungen über die Menge der freigesetzten Partikel vorhanden», sagt Nowack. Diese Wissenslücken seien unbedingt zu schliessen.
Nano-Gold unproblematisch
Erste Lücken hat Nowack bereits vor einiger Zeit geschlossen, als er mit seinem Team das Risiko von Nano-Goldpartikeln in der Umwelt abschätzte. «Derzeit kann man davon ausgehen, dass Nano-Gold in medizinischen Anwendungen keine Probleme verursacht», so der Forscher. In der neuen Studie analysierte Nowacks Team nun weitere Nanomaterialien, die in der Medizin eingesetzt werden. Interessant sind Partikel zwischen 1 und 100 Nanometern Grösse, weil sie verhältnismässig leicht herzustellen sind und beispielsweise für medizinische Bildgebungsverfahren, antimikrobielle Beschichtungen oder für die Arzneimittelfreisetzung eingesetzt werden können.
Unter den bisher verwendeten Substanzen liessen sich aufgrund vorhandener Daten nun erstmals einige häufig verwendete Nanomaterialien untersuchen: Darunter war beispielsweise Nano-Chitosan, ein Abkömmling eines natürlich vorkommenden Vielfachzuckers, der im Panzer von Krustentieren enthalten ist und die Wundheilung unterstützt. Weitere analysierte Substanzen waren Polyacrylonitril, kurz PAN, das in der antibakteriellen Therapie genutzt wird, sowie Hydroxyapatit (HAP), ein natürliches Mineral. Auf HAP setzt die Medizin beispielsweise im Zusammenhang mit Medikamentenfreisetzung oder der Regeneration von Knochengewebe.
Bei den Analysen stellte sich heraus, dass Chitosan in seiner herkömmlichen Form, sobald es ins Süsswasser gelangt, stärker giftig auf Wasser-Mikroorganismen wirkt als in seiner Nanoform. Nano-Chitosan ist demnach sogar weniger gefährlich für aquatische Lebewesen. Damit lag das Nano-Polymer mit dem Ausmass seiner Schadwirkung auch deutlich hinter konventionellen Medikamenten, die in die Umwelt gelangen, etwa Antibiotika oder Schmerzmittel. Das Nano-Polymer PAN und das mineralische HAP schnitten sogar noch günstiger ab. «Diese Substanzen sind im Wasser quasi als nicht toxisch einzustufen», so Nowack.
Anders sieht es allerdings für Nano-Silber aus, das in der Medizin für seinen antibakteriellen Effekt geschätzt wird. Was aber bei der Behandlung von Krankheiten erwünscht ist, ist in der Umwelt problematisch: In der Biosphäre wirkt das anorganische Nanomaterial ebenfalls giftig auf Mikroorganismen, die allerdings wichtig für die Balance in einem Ökosystem sein können.
Riesige Oberfläche
«Es ist davon auszugehen, dass sich die biologischen, chemischen und physikalischen Eigenheiten vieler Nanomaterialien möglicherweise deutlich von den Eigenschaften anderer Medikamente unterscheiden», sagt Nowack. Grund sei unter anderem die ausserordentlich hohe Anzahl der Substanzpartikel sowie deren in der Summe vielfach grössere Oberfläche. Wichtig sei, dass es derzeit zwar gelingen würde, die Umweltgefährdung durch bestimmte Substanzen zu bewerten. Für komplette Risikoanalysen müsste aber erst ermittelt werden, wie stark Flora und Fauna – und letztlich der Mensch – mit den Nanomaterialien in Kontakt kämen. Diese Expositionsdaten der verhältnismässig jungen Stoffklasse der Nanomedikamente erarbeitet das Team derzeit innerhalb des «BIORIMA»-Projekts.
Die ermittelten Daten fliessen darüber hinaus in den Prozess der Entwicklung neuer Medikamente ein. Empa-Forscherin Claudia Som verweist hierzu auf den «Safe by design»-Ansatz: «Wir haben Richtlinien für KMU erarbeitet, mit denen sich risikobehaftete Nanobiomaterialien frühzeitig im kostspieligen Entwicklungsprozess aussortieren lassen», erklärt die Forscherin. Damit unterstützen die Risikoanalysen der Empa eine nachhaltige Innovation im Bereich der Nanomedizin.
Quelle: https://www.empa.ch/web/s604/nanosafety
Original articles : https://jnanobiotechnology.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12951-019-0489-8
https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/17435390.2019.1568604