Winzige Riesen in unserem Alltag
Unter dem Motto «Nano ist überall» publizierte das Bundesministerium für Bildung und Forschung die Broschüre «Winzige Riesen in unserem Alltag - Verantwortungsvoller Umgang mit Nanomaterialien». Die Broschüre informiert, was Nano-Risikoforschung ist und wie sie durchgeführt wird.
Nanowissenschaftler erforschen nicht nur die Chancen von industriell herstellbaren Nanomaterialien, sondern auch deren Risiken. Nur wenn man Risiken rechtzeitig erkennt, lassen sie sich vermeiden oder durch entsprechende Maßnahmen auf ein hinnehmbares Niveau reduzieren. Es ist zu erwarten, dass Nanomaterialien zukünftig in immer mehr Produkten auf den Markt kommen. Die begleitende Risikoforschung sorgt dafür, dass die Nanotechnologie ihr Potenzial optimal entfalten kann, ohne Mensch und Umwelt zu gefährden.
Nach einer allgemeinen Einführung stellt die Broschüre die Grundlagen und Methoden der Risikoforschung zur Nanotechnologie vor. Einzelne Materialien oder Produkte werden bewusst nicht diskutiert. Zwar kann man die Risiken von vielen Materialien heute schon deutlich besser abschätzen als noch vor ein paar Jahren, die Risikoforschung ist aber noch in vollem Gang und das bisherige Wissen für eine abschließende Bewertung noch nicht ausreichend. Weltweit veröffentlichen Forscher täglich neue Resultate.
Viele Substanzen, die als Nanomaterial auf den Markt kommen sollen, sind in ihrer grobkörnigen Variante bereits längst im Handel. Ein Beispiel ist Titandioxid, das als weißes Pigment schon lange in Wandfarben steckt. Früher wurden hauptsächlich mikrometergroße Titandioxidpartikel eingesetzt. Sie sind mindestens zehnmal größer als jene Nanoobjekte aus Titandioxid, die seit einigen Jahren in Sonnenschutzmitteln verwendet werden. Herkömmliches Titandioxid ist unbedenklich. Warum wird Nanotitandioxid, das dieselbe chemische Zusammensetzung besitzt, dennoch in so vielen weiteren Studien untersucht? Die Antwort ist einfach: Nicht nur die Zusammensetzung eines Materials, sondern auch seine Form und Größe können die biologische Wirkung beeinflussen.
Das wohl bekannteste Beispiel für den Zusammenhang zwischen der Teilchenform und einem gesundheitsschädlichen Effekt ist Asbest: Dieses natürlich vorkommende Mineral besteht überwiegend aus Verbindungen der eigentlich harmlosen Elemente Eisen, Silizium und Sauerstoff. Dennoch ist Asbest äußerst gefährlich, denn es bildet mikrometergroße Nadeln, die nach dem Einatmen zu schweren Gesundheitsschäden führen können. Asbest gehört zwar nicht zu den Nanomaterialien, zeigt aber, dass die äußere Form eines Materials bei der Sicherheitsbetrachtung ausschlaggebend sein kann.
Ob Nanomaterialien die menschliche Gesundheit beeinflussen – und wenn ja, wie – untersuchen Wissenschaftler zunächst im Labor in vitro – also in Zellkulturen. In vitro (von lat. vitrum für Glas) bedeutet im Reagenzglas und bezeichnet Tests außerhalb eines Organismus, wobei die Temperatur und andere Versuchsbedingungen möglichst körperähnlich sind. Für in vitro Untersuchungen wählen Forscherinnen und Forscher geeignete Zellen aus, zum Beispiel Zellen der Haut oder der Lunge. Schließlich bewerten sie die beobachteten Effekte, um das Gefährdungspotenzial der Testsubstanz festzustellen. Als Kontrolle dienen Zellen, die zwar nicht mit der Testsubstanz, aber ansonsten vergleichbar behandelt werden.
Die Ergebnisse aus den erfolgreichen in vitro Experimenten sollen anschließend in wenigen in vivo Studien bestätigt oder widerlegt werden. In vivo (von lat. vivus für lebend) bedeutet im lebenden Organismus und meint ausgesuchte Versuche mit Tieren, die als Modell für den Menschen dienen. Dabei wird besonderer Wert darauf gelegt, dies nur in absolut notwendigem Umfang und unter besonderem Aspekt des Tierschutzes durchzuführen. Die Ergebnisse machen die meisten Wirkungen vorhersagbarer und erhöhen die Gewissheit über die Sicherheit einer Substanz für den Menschen.
Neben der Wirkung auf den Menschen erforschen Toxikologen (Wissenschaftler, die sich mit der Giftigkeit von Substanzen befassen) eventuelle Umwelteffekte von synthetischen Nanomaterialien. Diese Prüfungen sind ebenfalls erforderlich, weil Nanomaterialien während der Produktion, des Transports, der Verwendung oder schließlich bei der Entsorgung in Gewässer, Boden oder Luft gelangen können. Einige Nanoobjekte geraten gar unweigerlich in die Umwelt. Nanopartikel aus Sonnenschutzmitteln waschen sich von der Haut ins Wasser ab. Was passiert, wenn Nanoobjekte Flüsse, Seen und Meere erreichen, wenn sie in der Luft schweben oder sich in Böden und Sedimenten ablagern und dort mit Lebewesen in Kontakt kommen? Die Wirkung der Nanopartikel in der Umwelt hängt dabei entscheidend von ihrer Reaktionsfähigkeit ab. Diese kann dazu führen, dass sie sich mit anderen Partikeln verbinden und sich so ihr Risikopotenzial verändert. Bislang gibt es aber nur wenige Informationen darüber, welche synthetischen Nanomaterialien in welchen Mengen überhaupt in der Umwelt anzutreffen sind und wie sie sich dort verhalten.