Firmen suchen Lehrlinge mittels Nanotechnologie
Es sind neue Wege, auf denen Lehrlinge rekrutieren und das Interesse der Schüler für die Naturwissenschaft wecken: Biotech- und Lebensmittel-Firmen oder Pharma- und Chemie- Unternehmen haben einen neuen Lernkoffer entwickelt, der den Sekundarschülern und Gymnasiasten die Welt der Nanotechnologie erschliesst. Der Koffer enthält 37 naturwissenschaftliche Experimente, ein Lehrerhandbuch und eine Schüleranleitung für das selbständige Experimentieren in drei verschiedenen Schwierigkeitsstufen. Experimentiert wird zu zwei oder zu dritt.
Derzeit sind 880 Koffer an die Schulen der Kantone Solothurn, Baselland und Basel-Stadt ausgeliefert worden. In einem nächsten Schritt sollen die Schulen in der Innerschweiz bestückt werden. Hinter dem Projekt stehen die Stiftung SimplyScience und 35 Partnerfirmen wie Novartis, Syngenta, Schaerer (Kaffee) oder Mathys Medical.
Was wichtig ist:
- Der Nano-Koffer soll dazu beitragen, den Fachkräftemangel in den technischen Berufen zu lindern.
- Mit den Weiterbildungskursen an Firmenstandorten werden Brücken zwischen Lehrer und Grossunternehmen geschaffen.
- Die Schulen erhalten attraktives Unterrichtsmaterial für das Fach Natur und Technik, das ihnen bislang gefehlt hat.
«Noch hat Syngenta internationale Strahlkraft, noch haben sich bei uns genügend Lehrlinge beworben», sagt Elisabeth Vock, Personalleiterin des Saatgut- und Pestizidproduzenten. «Noch», betont sie, denn die Schulabgänger würden sich zunehmend für eine weitere Laufbahn an einer Mittelschule entscheiden, statt eine Lehre anzutreten. «Da muss sich die Branche bemerkbar machen, um die Fachkräfte von morgen auszubilden – nicht erst an Berufsmessen oder beim Berufsberater.»
Der ausgeklügelte Nano-Koffer bringt die technisch-naturwissenschaftliche Branche wieder ins Gespräch. Nicht nur bei den Schülern, auch bei den Lehrern, die eine Weiterbildung in Sachen Nanotechnologie am Koffer in den jeweiligen Firmen antreten können. 121 Lehrer aus der Nordwestschweiz haben so das Schulzimmer mit den Labors von Syngenta oder der Universität Basel getauscht und kommen ganz ungezwungen in einen Austausch mit jenen Firmen, die ihren Schülern Lehren anbieten werden. «An solchen Weiterbildungskursen für die Experimente des Nano-Koffers sind spontan auch Fragen erörtert worden, wie: ‹Welche Note braucht mein Schüler in Mathe, um eine Chance bei Syngenta haben zu können?›.»
Begeisterung vor Ort
Die Stiftung SimplyScience wollte den Forscherdrang von Jugendlichen, die Begeisterung für Chemie, Mathematik, Biologie und Physik, die der Koffer zu wecken vermag, gleich vor Ort in einem Schulzimmer in Basel demonstrieren.
An einem Gruppentisch zerlegen Dilara, Anastasia und Douaa eine Babywindel, streuen das Wattepulver in einen Messbecher, das den Boden ein paar wenige Zentimeter bedeckt. Dann wird eingefärbtes Wasser dazu gegossen – fast ein Liter. Das Wattepulver verklumpt zu Gel und speichert die Feuchtigkeit. Ein Haushaltspapier, das auf die gelartige Pappe gelegt werden darf, wird kaum feucht. Staunen in den Gesichtern der jungen Menschen.
Am anderen Gruppentisch cremen sich zwei Schüler die Hände mit einer Nanosalbe ein und stellen fest, dass der Honig, den sie sich auf die Handfläche strichen, nicht verklebt, sondern einen Tropfen bildet. Das Händewaschen funktioniert danach nicht mehr. Das Wasser perlt an den Händen ab.
«Das ist viel spannender als der Sprachunterricht. Man kann selber etwas tun», sagt Dilara und holt die Zustimmung ihrer Kolleginnen. Sie erhält sie auch. Sie könne sich vorstellen, dort zu arbeiten, wo man solche Sachen mache, sagt Dilara.
Firmen erhalten Zugang zu Schulen
Die Schule wird heute von unzähligen Lobbyorganisationen besucht. Greenpeace bietet Unterrichtsmaterialien an, der WWF will schon früh mit Material im Schulzimmer präsent sein. Schulen wurden ausgerüstet mit dem Sexkoffer oder dem Experimentierkoffer. Und nun gibt es aktuell in acht Deutschschweizer Kantonen auch den Nano-Koffer. Zuviel? Oft halten Schulen solche privaten Engagements fern, sind «Public-Private-Partnership»- Projekte suspekt, oder die Lehrmittel aus der Privatwirtschaft landen im Schrank des Lehrerzimmers, wo sie für immer verstauben.
Was hat die Stiftung SimplyScience anders gemacht? Denn beim Nano-Koffer ist das nicht so. 43 Prozent der Lehrer, die ihn gebrauchen wollen, setzen ihn beim ohnehin überfrachteten Lehrplan 21 während sechs bis zehn Lektionen ein; 29 Prozent noch häufiger und 25 Prozent während drei bis fünf Lektionen, wie eine Auswertung der Stiftung SimplyScience ergeben hat.
Wichtig war, dass die Stiftung den Support der Erziehungsdirektionen erhielt, sagt Christoph Meili, Leiter des SimplyNano Projekts. Auf keinem Lernmittel wird für die Firmen geworben. Es gehe darum, das Verständnis für wissenschaftlich-technische Themen bei Kindern und Jugendlichen mit attraktiven Lehrmaterialien zu fördern, sagt Meili. Darüber hinaus steht der Erwerb von «Kompetenzen in neuen Technologien» als Ziel im Lehrplan. Es gibt jedoch keine Lehrmittel dafür. Deshalb ist der Koffer in den Schulen willkommen, und er integriert sich in den Lehrplan.
Für ihn sei wichtig gewesen, dass er die Materialien für die Experimente nicht aufwändig zusammentragen müsse, erklärt der Natur-und-Technik-Lehrer Patrick Aspäck. Windel, Wasser, Honig – solches könne er locker für den Unterricht beschaffen. Und die notwendigen Chemikalien oder die entsprechenden Nanopartikel seien in ausreichender Menge vorhanden, sodass es locker für 30 experimentelle Durchläufe reiche, sagt Aspäck.
Der Zufriedenheitsgrad der Lehrer, die den Koffer einsetzen, ist aussergewöhnlich hoch. Aussagen wie «Die im Kurs durchgeführten Experimente finde ich gelungen» werden mit 96 Prozent «trifft vollkommen zu» bis «trifft zu» beantwortet.
Autor: Daniel Wahl
Quelle: Nebelspalter; 16. Mai 2023, 18:11