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02.06.2021

Winziges mit Winzigem bekämpfen

Mikroorganismen evolvieren ständig, wie wir heute von SARS-CoV-2 nur zu gut wissen. Jede Mutation birgt das Potenzial, neue Gefahren für den Menschen mitzubringen. Daraus entstehen auch Antibiotikaresistenzen, ein globales Gesundheitsproblem, das uns bereits vor der Pandemie beschäftigte. Zwei voneinander unabhängige Forscherteams nutzen nun die Technologie des Winzigen um gegen gefährliche Winzlinge vorzugehen.

Mit der (immer noch anhaltenden) COVID-19-Pandemie sind die Infektionskrankheiten wieder vermehrt auf dem gesellschaftlichen Radar aufgetaucht. In Industrieländern verursachen andere, nicht übertragbare Krankheiten mehr Leid, doch die aktuelle Situation hat allen unsere winzigen Mitbewohner in Erinnerung gerufen: Viren, Bakterien und Pilze. Schon seit geraumer Zeit sind vor allem die Antibiotika-Resistenzen ein drängendes Problem. Beim Wettrüsten der Menschheit gegen Bakterien haben einige Bakterien momentan die Nase vorn. Unsere einstigen Wunderwaffen, die Antibiotika, versagen immer häufiger bei Keimen, die trickreiche Manöver einsetzen, um sich vor der Wirkung der Medikamente zu schützen.

Staphylokokken beispielsweise sind meist harmlose Keime, die auf der Haut und auf Schleimhäuten vorkommen können. Unter bestimmten Bedingungen aber fluten die Bakterien den Körper und lösen schwere Entzündungen aus bis hin zu einem toxischen Schock oder einer Blutvergiftung. Dadurch sind Staphylokokken die Haupttodesursache durch Infektionen mit nur einem einzigen Erregertypen.

Besonders prekär ist die zunehmende Zahl an Staphylokokken-Infektionen, die nicht mehr auf eine Behandlung mit Antibiotika ansprechen. MRSA, multiresistente Keime, sind vor allem in Spitälern gefürchtet, wo sie als nosokomiale Erreger schlecht behandelbare Wundinfektionen hervorrufen oder Katheter und Geräte besiedeln. Insgesamt kommt es in der Schweiz jedes Jahr zu rund 75'000 Spitalinfektionen, 12'000 davon verlaufen tödlich. Weltweit verursachen antibiotikaresistente Erreger schätzungsweise 700'000 Todesfälle – eine globale Gesundheitsherausforderung.

Während die gesundheitliche Belastung durch Pilzinfektionen weniger bekannt ist, töten sie weltweit jedes Jahr etwa 1,5 Millionen Menschen, und die Zahl der Todesfälle steigt. Eine neue Bedrohung für hospitalisierte COVID-19-Patienten ist zum Beispiel der weit verbreitete Pilz Aspergillus, der tödliche Sekundärinfektionen verursachen kann.

Forscher erkunden deshalb Möglichkeiten, um die winzigen Erreger mit ebenso kleinen Technologien zu bekämpfen.

Bioglas und Metall zerstören trickreiche Keime

Unter den Bakterien gibt es einige besonders trickreiche Krankheitserreger, die in Körperzellen eindringen und dort für das Immunsystem unsichtbar sind. So überdauern sie Zeiten, in denen die Körperabwehr in Alarmbereitschaft ist. Auch für Staphylokokken ist dieses Phänomen bekannt. Sie können sich in Zellen der Haut, des Bindegewebes, der Knochen und des Immunsystems zurückziehen. Der Mechanismus dieser Persistenz ist noch nicht völlig geklärt.

Um die Keime in ihrem Versteck aufzuspüren und unschädlich zu machen, hat ein Team von Forschenden der Empa und der ETH Zürich nun Nanopartikel entwickelt, die einen völlig anderen Wirkmechanismus als herkömmliche Antibiotika nutzen: Während Antibiotika schlecht in Körperzellen eindringen können, gelingt es diesen Nanopartikeln aufgrund ihrer geringen Grösse und Beschaffenheit, sich ins Innere der befallenen Zelle einschleusen zu lassen. Einmal dort angekommen, bekämpfen sie die Bakterien.

Das Team um Inge Herrmann und Tino Matter hat hierzu das Material Ceroxid eingesetzt, das in seiner Nanopartikel-Form antibakteriell und entzündungshemmend wirkt. Die Nanopartikel kombinierten die Forschenden mit einem bioaktiven Keramikwerkstoff, sogenanntem Bioglas. Interessant ist Bioglas für die Medizin, da es vielseitige regenerative Eigenschaften hat und beispielsweise für den Wiederaufbau von Knochen und Weichteilen eingesetzt wird.


Cer – Alleskönner unter den chemischen Elementen

Zu Unrecht wurde das chemische Element Cer, oder Cerium, nach dem Zwergplaneten Ceres benannt. Denn das silbrige Metall kommt derzeit gross raus. Als Ceroxid wird es in Autokatalysatoren verbaut, darüber hinaus nutzt man es bei der Herstellung von so unterschiedlichen Dingen wie selbstreinigende Backöfen, Windschutzscheiben und Leuchtdioden. Aufgrund seiner antimikrobiellen und entzündungshemmenden Eigenschaften ist es zudem für medizinische Anwendungen interessant.


Mittels Flammensynthese wurden schliesslich Nanopartikel-Hybride aus Ceroxid und Bioglas hergestellt. Die Partikel konnten bereits erfolgreich als Wundkleber eingesetzt werden, wobei gleich mehrere interessante Eigenschaften simultan genutzt werden können: Dank der Nanopartikel können Blutungen gestoppt, Entzündungen gedämpft und die Wundheilung beschleunigt werden. Zudem zeigen die neuartigen Partikel eine signifikante Wirkung gegen Bakterien, während die Behandlung für menschliche Zellen gut verträglich ist. Erst kürzlich konnte die neue Technologie erfolgreich patentiert werden. Ihre Ergebnisse publizierte das Team jetzt im Fachmagazin «Nanoscale» in der «Emerging Investigator Collection 2021». Tino Matter arbeitet momentan daran, die neue Technologie zur Marktreife zu bringen. Sein Startup anavo medical konnte bereits mehrere Erfolge feiern – unter anderem war es unter den drei Finalisten des Swiss Technology Awards.

Die Wechselwirkungen zwischen den Hybrid-Nanopartikeln, den Körperzellen und den Keimen konnten die Forschenden unter anderem anhand von Elektronenmikroskopie-Untersuchungen aufzeigen. Wurden infizierte Zellen mit den Nanopartikeln behandelt, begannen sich die Bakterien im Inneren der Zellen aufzulösen. Wurde die Aufnahme der Hybrid-Partikel hingegen von den Forschenden gezielt blockiert, stoppte auch der antibakterielle Effekt.

Der genaue Wirkmechanismus der Cerium-haltigen Partikel ist derzeit noch nicht vollständig geklärt. Erwiesen ist, dass auch andere Metalle antimikrobielle Effekte aufweisen. Cerium ist allerdings weniger giftig für Körperzellen als beispielsweise Silber. Die Forschenden nehmen derzeit an, dass die Nanopartikel auf die Zellmembran der Bakterien einwirken, wobei reaktive Sauerstoffverbindungen entstehen, die zur Zerstörung der Keime führen. Da die Membran von menschlichen Zellen anders aufgebaut ist, bleiben Körperzellen von diesem Vorgang verschont.

Gegen einen derartigen Mechanismus, so meinen die Forscher, würden sich vermutlich weniger Resistenzen entwickeln können. «Zudem regenerieren sich die Ceroxid-Partikel mit der Zeit wieder, so dass der oxidative Effekt der Nanopartikel auf die Bakterien erneut einsetzt», sagt Empa-Forscher Tino Matter». So könnten die Cerium-Partikel eine nachhaltige Wirkung erzielen.

Als nächstes wollen die Forschenden die Interaktionen der Partikel im Infektionsgeschehen genauer analysieren, um die Struktur und Zusammensetzung der Nanowirkstoffe weiter zu optimieren. Das Ziel ist, ein einfaches, robustes antibakterielles Mittel, zu entwickeln, das im Inneren infizierter Zellen wirksam ist.

Nanoskalig dünner Schwarzer Phosphor zerreisst Mikroorganismen

Eine neue antimikrobielle Beschichtung eines Teams unter Leitung der RMIT University basiert auf einem ultradünnen 2D-Material, das bisher vor allem für die Elektronik der nächsten Generation von Interesse war, schwarzem Phosphor oder Black Phosphorous (BP) in Englisch. Das Material ist eine der dünnsten antimikrobiellen Beschichtungen, die bisher entwickelt wurden. Es ist wirksam gegen ein breites Spektrum von arzneimittelresistenten Bakterien und Pilzzellen, während es menschliche Zellen unversehrt lässt.

Co-Lead-Forscher Associate Professor Sumeet Walia von der School of Engineering des RMIT hat zuvor bahnbrechende Studien geleitet, in denen BP für die Technologie der künstlichen Intelligenz und der das Gehirn nachahmenden Elektronik verwendet wurde.

"BP zerfällt in Gegenwart von Sauerstoff, was normalerweise ein großes Problem für die Elektronik ist und etwas, das wir mit mühsamer Feinmechanik überwinden mussten, um unsere Technologien zu entwickeln", sagte Walia.

"Aber es stellte sich heraus, dass Materialien, die sich leicht mit Sauerstoff zersetzen, ideal zum Abtöten von Mikroben sein können - es ist genau das, wonach die Wissenschaftler, die an antimikrobiellen Technologien arbeiten, gesucht haben. "Unser Problem war also ihre Lösung."

Studien zu BP haben angedeutet, dass es einige antibakterielle und antimykotische Eigenschaften hat, aber das Material wurde noch nie methodisch für eine mögliche klinische Anwendung untersucht.

Die neue Studie, die in der Fachzeitschrift Applied Materials & Interfaces der American Chemical Society veröffentlicht wurde, zeigt, dass schwarzer Phosphor effektiv Mikroben abtötet, wenn er in nanodünnen Schichten auf Oberflächen wie Titan und Baumwolle aufgetragen wird, die zur Herstellung von Implantaten und Wundverbänden verwendet werden.

Co-Lead-Forscher Dr. Aaron Elbourne sagte, ein Material zu finden, das sowohl bakterielle als auch pilzliche Infektionen verhindern kann, sei ein bedeutender Fortschritt.

"Diese Krankheitserreger sind für massive Gesundheitsbelastungen verantwortlich und da die Medikamentenresistenz weiter zunimmt, wird es für uns immer schwieriger, diese Infektionen zu behandeln", sagte Elbourne, ein Postdoctoral Fellow in der School of Science am RMIT.

"Unsere Nanothin-Beschichtung ist ein doppelter Wanzenkiller, der funktioniert, indem er Bakterien- und Pilzzellen auseinanderreißt, etwas, an das sich Mikroben nur schwer anpassen können. Es würde Millionen von Jahren dauern, bis sich auf natürliche Weise neue Abwehrkräfte gegen einen solch tödlichen physischen Angriff entwickeln.

"Während wir weitere Forschung benötigen, um diese Technologie in klinischen Umgebungen anwenden zu können, ist dies eine aufregende neue Richtung auf der Suche nach effektiveren Wegen, um diese ernste gesundheitliche Herausforderung anzugehen."

Wenn BP zerfällt, oxidiert es die Oberfläche von Bakterien und Pilzzellen. Dieser Prozess, der als zelluläre Oxidation bekannt ist, führt letztendlich dazu, dass sie auseinandergerissen werden.

In der neuen Studie testete der Erstautor und Doktorand Zo Shaw die Wirksamkeit von Nanothin-Schichten aus BP gegen fünf gängige Bakterienstämme, darunter E. coli und medikamentenresistente MRSA, sowie fünf Pilzarten, darunter Candida auris.

In nur zwei Stunden wurden bis zu 99 % der Bakterien- und Pilzzellen zerstört.

Wichtig ist, dass der BP in dieser Zeit auch begann, sich selbst zu zersetzen und innerhalb von 24 Stunden vollständig abgebaut war - ein wichtiges Merkmal, das zeigt, dass sich das Material nicht im Körper anreichert.

In der Laborstudie wurden die optimalen Mengen an BP identifiziert, die eine tödliche antimikrobielle Wirkung haben und gleichzeitig die menschlichen Zellen gesund und unversehrt lassen.

Die Forscher haben nun begonnen, mit verschiedenen Formulierungen zu experimentieren, um die Wirksamkeit auf einer Reihe von medizinisch relevanten Oberflächen zu testen.

Das Team ist sehr daran interessiert, mit potenziellen Industriepartnern zusammenzuarbeiten, um die Technologie, für die ein vorläufiger Patentantrag eingereicht wurde, weiterzuentwickeln.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde von zwei separaten Artikeln (siehe Quellen) zusammengeführt.

Redaktion: Alex von Wyl

Originalveröffentlichungen:
ACS Applied Materials Interfaces: Shaw et al. (2021) – Broad-Spectrum Solvent-Free Layered Black Phosphorous as a Rapid Action Antimicrobial
Nanoscale: Matter et al. (2021) – Inorganic nanohybrids combat antibiotic-resistant bacteria hiding within human macrophages

Quellen:
Phys.org – Superbug killer: New nanotech destroys bacteria and fungal cells
EMPA – Mit Nanopartikeln gegen gefährliche Bakterien

Bildquelle: EMPA