Das Netz als Quelle des Wissens
Im Internet ist es ein leichtes, die ganze Welt zu erreichen. Warum dies nicht nutzen und das Wissen der weltweiten Internetgemeinde anzapfen? Zahlreiche Unternehmen machen das bereits – Crowdsourcing heisst es dann.
Sabrina Dünnenberger
ST.GALLEN. Was haben die Chips-Sorten «Sunny Forest» und «Malaknesa» der Migros Tochter Bischofszell Nahrungsmittel AG (Bina) und der Gleitverschluss für Sportjacken von Mammut gemeinsam? Beides wurde von der Crowd entwickelt. Die Crowd, das ist eine Vielzahl von Internetnutzern. Crowdsourcing heisst das Schlagwort, und es bedeutet so viel, wie auf die Weisheit vieler zurückzugreifen. Getrieben ist dieser Innovationsprozess durch das Internet. «Das Internet hat zu einem Strukturwandel geführt. Crowdsourcing ist eine Möglichkeit, wie Firmen mit Hilfe der Internet-Gemeinschaft ihre Innovationskraft stärkenkönnen», sagt Hans-Dieter Zimmermann, Dozent für Wirtschaftsinformatik an der FHS St.Gallen.
DieMigros macht’s vor
Im Fall der Bina hat der Lebensmittelproduzent auf der Suche nach neuen Chips-Geschmacksrichtungen den Internetnutzern über 100 Zutaten zur Verfügung gestellt, die sie kombinieren konnten. Nach einer Abstimmung im Netz wurden die 50 beliebtesten Geschmacksrichtungen produziert und von einer Jury bewertet. Bei den verbliebenen 5 Geschmäcken waren denn die Kunden am Zug, ihre zwei Favoriten zu küren. Die von der Bina produzierten zwei neuen Chips- Sorten - Essiggurken und Dill sowie Zwiebel, Pilz und Speck - stehen heute in den Migros-Regalen. Die Entwicklerinnen der Geschmacksrichtungen werden mit 1% Umsatzbeteiligung honoriert. Die Migros hat Crowdsourcing mit der Internet-Plattform Migipedia institutionalisiert. Dort werden Produktvorschläge – etwa Marshmallows mit Schokoladenhülle – geprüft, Kampagnen für neue Produkte und die Wiedereinführung von aus dem Sortiment gefallenenWaren gefahren.
VonMcDonald’s bis zur Nasa
Auch andere Unternehmen nutzen die Weisheit des interaktiven Schwarms. So sucht McDonald’s mit der Kampagne «Mein Burger» drei Hamburger-Kreationen, die im Frühling in den Restaurants in der Schweiz und in Liechtenstein ins Angebot kommen. Es sind aber nicht nur Nahrungsmittel-und Konsumgüterunternehmen, welche die Crowd für sich arbeiten lassen. Crowdsourcing hat auch die Wissenschaft erreicht. Ein Beispiel dafür ist die Plattform Innocentive. Dort sucht etwa die Nasa Lösungen, um den Druck im Inneren des menschlichen Kopfes messen zu können. Ein anderes Unternehmen sucht nach der Rezeptur für ein Guezli, das für Diabetiker geeignet ist, aber schmeckt wie ein «echtesGuezli». Innocentive rühmt sich damit, über 12 Millionen Problemlöser zu erreichen, deren 270000 sind bei der Plattform registriert. Wer einem Unternehmen entscheidend weiterhilft, kann auf dieser Plattform bis zu 1 Mio. $ verdienen. Geld ist jedoch nicht der einzige Motivationsfaktor, springt nicht überall gar so viel heraus. Anerkennung kann ein Motiv sein, aber auch Selbstmarketing. «Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Selbstdarstellung im Internet dazugehört», sagt Zimmermann.
Kunden als Marktforscher
«Es sind nicht zwingend die Angestellten, welche die besten Lösungen für Fragestellungen einer Firma haben», begründet Christoph Meili den Sinn von Crowdsourcing. Er ist Geschäftsführer der Innovationsgesellschaft St.Gallen, die Unternehmen unter anderem im Umgang mit neuen Technologien berät. Crowdsourcing kann zur Lösung eines Problems beitragen. Verglichen mit herkömmlicher Forschung und Entwicklung erreicht Crowdsourcing eine Vielzahl möglicher Problemlöser. «Kunden werden zu Marktforschern, Entwicklern und Testpersonen in einem», sagt Meili. Zudem können Crowdsourcing-Projekte schnellerrealisiert werden und günstiger sein als Labor-Projekte.So hat etwa die Innovationsgesellschaft selbst das Logo für eine Studie (www.openinnovationmonitor.ch) durch die Crowd entwickeln lassen. Die Kosten lagen dabei um ein Vielfaches tiefer, als wenn eine Agentur involviert gewesen wäre, «und die Anzahl der Teilnehmer und der kreativen Vorschläge war überwältigend», sagt Robert Rekece, der das Projekt betreut hatte.
Mehr als billige Arbeitskräfte
Die Crowd allerdings nur als billige Arbeitskraft zu sehen, greift zu kurz. «Crowdsourcing ist in der Regel nur ein einzelner Schritt im gesamten Innovationsprozess», sagt Rekece. Zudem: Eine befriedigende Lösung sei nicht garantiert. Darum sei ein klares Briefing ebenso wichtig wie die Kommunikation mit den Teilnehmern, was sehr zeitaufwendig sein könne. Zimmermann hält denn auch fest: «Crowdsourcing ist nicht die eierlegende Wollmilchsau.» Sinnvoll eingesetzt, könne es Unternehmen jede rGrösse aber helfen, ihre Innovationskraft zu stärken.
Kasten: Noch in den Kinderschuhen
In Europa und der Schweiz steckt Crowdsourcing noch in den Kinderschuhen. Von weltweit 2000 gelisteten Plattformen stammen knapp 50 aus Deutschland und neun aus der Schweiz, wohingegen die Zahl der US-Plattformen bei über 500 liegt. Die Innovationsgesellschaft St.Gallen hält allerdings fest, dass das Konzept des Crowdsourcing schwer fassbar
sei, da es sich ständig weiterentwickle und immer neue Formen entständen. Eine Befragung der Innovationsgesellschaft und der FHS St.Gallen bei über 200 Führungskräften hat ergeben, dass gerade einmal jeder Dritte den Begriff Crowdsourcing erklären kann. Dabei birgt das Konzept laut den Studienautoren gerade für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) grosses
Potenzial. Innovationen zu generieren sei für Firmen überlebensnotwendig. Angesichts sinkender Budgets für Forschung und Entwicklung, schnelleren Produktlebenszyklen oder steigenden Kundenansprüchen sei der Einbezug der Crowd durchaus sinnvoll. Um den KMU in der Region das Thema näherzubringen, organisiert die Innovationsgesellschaft gemeinsam mit der FHS St.Gallen am 6. März an der Empa ein Praxisseminar. Informationen unter: www.innovationsgesellschaft.ch. (du). Autorin: Sabrina DünnenbergerQuelle: St.Galler Tagblatt, Ausgabe 25. Februar 2013Weitere Informationen zu Crowdsourcing & Open Innovation: robert.rekekce@innovationsgesellschaft.ch