Österreichisches Lebensministerium als Gastgeberin des 7. Internationalen Nano-Behördendialogs "Governance bei Nanomaterialien"
Am 14. / 15. Mai 2013 trafen sich Vertreterinnen und Vertreter von Ministerien, Behörden, Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Medien aus Deutschland, Liechtenstein, Österreich und der Schweiz in Wien zum 7. Internationalen Nano-Behördendialog. Auf Einladung des Österreichischen Lebensministeriums wurden im Tagungszentrum auf Schloss Schönbrunn aktuelle Fragestellungen aus dem Bereich der Governance von Nanomaterialien diskutiert. Die Teilnehmenden aus den vier Ländern tauschten sich an der zweitägigen Konferenz insbesondere über den aktuellen Stand der Regulierung von Nanotechnologien und deren Vollzug aus. Anhand von Verordnungen und Bestimmungen des Arbeitnehmendenschutzes wurden verschiedenen Aspekte beleuchtet und damit ein Zwischenfazit unter mehrere Jahre der Nanoaktivitäten gezogen. Im Rahmen der Tagung wurden daneben aktuelle Entwicklungen in Europa und auf globaler Ebene diskutiert. Der Behördendialog wurde von der Innovationsgesellschaft, St.Gallen im Auftrag des Lebensministeriums organisiert und moderiert.
Österreich als Gastgeberland des 7. Int. Nano-Behördendialogs
Ministerialrat Dr. Thomas Jakl begrüsste die rund 50 Teilnehmenden aus Deutschland, Österreich, Liechtenstein und der Schweiz im Namen des Lebensministeriums. Jakl stellte einen generell hohen Aktivitätslevel im Nanobereich in allen deutschsprachigen Ländern fest. Auf der Vollzugsseite von regulatorischen Bestimmungen spielen derzeit die Überprüfung von Testmethoden und Messverfahren eine grosse Rolle. Im Bereich des Arbeitnehmendenschutzes werden Leitfäden, Informations- und Ausbildungshandreichungen entwickelt und eingesetzt. Die Governance von Nanotechnologien stellt für Politik und Verwaltungen weiterhin eine sehr anspruchsvolle Querschnittsaufgabe dar. Aus Behördensicht sind die Aufgaben verschiedener Fachressorts wie Umwelt, Gesundheit, Wirtschaft und Arbeitssicherheit zu bündeln. Für die Zukunft wünschte sich Jakl eine verstärkte und grenzüberschreitende Nutzung von Synergien zwischen den Ländern, wie etwa bei Forschungsergebnissen und -daten. Er unterstrich dabei die Bedeutung des Nano-Behördendialogs als wichtige und einzigartige Plattform für den informellen Wissens- und Erfahrungsaustausch unter europäischen Behördenvertretern und mit den Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik.
Vielfältige Nanoaktivitäten: Aktionspläne, Forschungsprogramme und Dialog
Mit einem interaktiven Nano-Marktplatz startete der Nano-Behördendialog in die Arbeitsphase. In drei Länder- und einer internationalen Arbeitsgruppe wurde der derzeitige Stand der Projekte, Aktionen, Programme und Ziele der Nanoaktivitäten in Deutschland, Österreich, Liechtenstein, Schweiz und auf internationaler Ebene diskutiert.
Österreich präsentierte seine Nanoaktivitäten in Form eines Eisenbahn-Zuges. Als zentrales Element und "Lokomotive" aller Aktivitäten dient der Nano-Aktionsplan. Die Themen der angehängten Waggons sind u. a. die Risikoabschätzung am Arbeitsplatz, die Informationsbroschüren "NanoTrust" sowie Projekte in der Ausbildung von Schülern und Jugendlichen.
Schweizer und Liechtensteiner Vertreter stellten den in der betriebspraktischen Erprobung befindlichen "Leitfaden zur Selbstkontrolle synthetischer Nanomaterialien" gemäss der Chemikalienverordnung vor. Weiterhin wurde die Revision und Überarbeitung des "Vorsorgerasters synthetische Nanomaterialien" vorgestellt und die seit 2012 neu bestehenden Melde- und Anmeldepflichten erklärt. Im Rahmen des NFP 64 "Chancen und Risiken von Nanomaterialien" wurde neben den aktuellen Forschungsprojekten eine Wanderausstellung "Nano-Expo" mit einer öffentlichen Dialogplattform vorgestellt.
Behördenvertreter aus Deutschland berichteten über den Stand des "Nano-Aktionsplanes 2015" und stellten die 1. Bilanz der Forschungsstrategie der Bundesoberbehörden vor. Im Bereich des Arbeitsschutzes werden Leitfäden und Messstrategien, auch für Kohlenstoffnanoröhrchen (CNT), weiterentwickelt und Firmenbefragungen durchgeführt. Verantwortliche des betrieblichen Arbeitsschutzes sollen in Zukunft im sicheren Umgang mit Nanomaterialien ausgebildet und geschult werden.
Im internationalen Bereich wurde der Umgang von multilateralen Umweltabkommen mit dem Thema Nanomaterialien diskutiert. Eine global gültige Nanodefinition war Gegenstand der Diskussion, ebenso wie die Behandlung von Nanomaterialien im "Globally Harmonized System of Classification and Labelling of Chemicals (GHS)". Otto Linher von der Europäischen Kommission ordnete die Rolle der REACH-Verordnung bei der Regulierung von Nanomaterialien ein und kündigte nanospezifische Änderungen in deren Anhang an. Zukünftige Massnahmen und Initiativen der neuen EU-Kommission blieben abzuwarten. In der anschliessenden Panel-Diskussion wurden die Nano-Definition der EU und adäquate Analysemethoden als "Knackpunkte" für den Vollzug von Regulierungen identifiziert.
Vom Gesetz zur Umsetzung
Anhand der Umsetzung der EU-Kosmetikverordnung und der Biozidprodukteverordnung wurden Aspekte des Transfers von Verordnungen in der nationalen Praxis diskutiert. Dr. Marcus Garzón vom deutschen Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit nahm zur im September 2013 in Kraft tretenden EU-Biozid-Verordnung Stellung. Darunter werden Nanomaterialien in Erzeugnissen wie zum Beispiel Insektensprays oder Holzschutzmitteln kennzeichnungspflichtig. Die Mitgliedstaaten sind von der EU-Kommission aufgefordert, Angaben zur Verwendung von Nanomaterialien in Biozid-Produkten und deren potenzielle Risiken zu melden. Im Rahmen des Altwirkstoffprogramms besteht die Möglichkeit, nachträglich die Nanoform eines Wirkstoffes zu berücksichtigen. Dr. Karin Gromann vom Österreichischen Bundesgesundheitsministerium erläuterte die Herausforderungen der EU-Kosmetikverordnung für die Behörden. Schwierigkeiten beim Vollzug des Monitorings von kosmetischen Mitteln mit Nanomaterialien ergäben sich durch mangelnde analytische Standardverfahren, fehlende Referenzmaterialien, Infrastruktur und Ressourcen. Als Vertreter von Cosmetics Europe schilderte Dr. Gerald Renner die besonderen Herausforderungen, welche die neue Kosmetikverordnung für die Hersteller bedeutet. Er unterstrich, dass sich die Kosmetikbranche der hohen Sicherheitsanforderungen bewusst sei und, dass die Kosmetikbranche mit der Nano-Kennzeichnung als Speerspitze der Industrie herhalten müsse.
Arbeitsschutz beim Umgang mit Nanomaterialien in der Praxis
Den Schwerpunkt "Nanomaterialien in der Arbeitswelt - Status quo des (Un-)Wissens" gestalteten Mitarbeitende der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) und ein Industrievertreter. Dr. Reinhold Rühl von der deutschen Berufsgenossenschaft Bau erklärte: "Während immer wieder auf Risiken von Nanomaterialien hingewiesen wird, gehen die Hersteller der Produkte kaum auf notwendige Schutzmassnahmen für Anwender ein." Hieraus ergebe sich für die Berufsgenossenschaften ein wichtiges Handlungsfeld bei der Beratung von konkreten Schutzmassnahmen im Umgang mit Nanoprodukten. Für die Baubranche wurde dazu eine Liste von rund 70 Nanoprodukten mit den empfohlenen Schutzmassnahmen bei ihrer Anwendung erarbeitet. "Grundsätzlich sind beim Aufbringen von Nanoprodukten wie Lacken oder Farben im Spritzverfahren oder beim Abschleifen dieser Anstriche Atemschutzvorkehrungen zu treffen." Sein Kollege, Dr. Markus Berges, betonte dabei die Bedeutung der Hierarchie von Schutzmassnahmen. Während persönliche Schutzmassnahmen am Ende kommen, sollten zunächst Alternativen in der Anwendung geprüft werden. So birgt beispielsweise das Aufbringen von Farben mittels Streichen weniger Gefahren als Spritzverfahren. Zur Verbesserung des Wissenstandes im sicheren Umgang mit Nanomaterialien am Arbeitsplatz startet die DGUV demnächst eine Ausbildungs- und Qualifizierungsplattform. Prof. André Lecloux von der Firma Nanocyl nannte regelmässige Luftkonzentrationsmessungen, Atemschutz, Belüftungen der Produktionsstätten und regelmässigen ärztliche Untersuchungen der Mitarbeitenden als praktische Arbeitsschutzmassnahmen bei der Herstellung, Forschung und Entwicklung von Nanomaterialien und Kohlenstoffnanoröhrchen (CNT).
Besondere Herausforderungen durch Carbonnanotubes (CNT)
Beiträge zum aktuellen Stand der wissenschaftlichen Forschung zum Thema CNT kamen aus den Disziplinen Toxikologie, Arbeitshygiene und Rechtliches. CNTs ermöglichen enorm breite Anwendungsmöglichkeiten und finden zunehmende Verwendung in unterschiedlichsten Produkten und tragen damit zur Exposition von Mensch und Umwelt bei.
Prof. Myrtill Simkó vom Österreichischen Institut für Technikfolgen-Abschätzung erläuterte den aktuellen Stand im Bereich Human- und Umwelttoxikologie von CNT. Während in der Akademia noch über die Wirkweise und Toxizität des Materials diskutiert wird, liegen erste Hinweise aus Tierversuchen vor, dass spezifisch strukturierte, nadelförmige CNT asbestähnliche Lungenerkrankungen hervorrufen könnten. " Für Tätigkeiten mit CNT, die lange, starre und biobeständige Faserstäube freisetzen können, orientieren sich Schutzmassnahmen und der Bewertungsmassstab für die Überprüfung der Wirksamkeit dieser Massnahmen an den für Asbest gesetzten Arbeitsschutzstandards", erklärte Prof. Rolf Packroff von der deutschen Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. " Gerade der arbeitsmedizinisch-toxikologischen Beratung von Beschäftigten kommt eine hohe Bedeutung zu." Die BAuA erarbeitet hierzu Schulungsunterlagen, die Betriebsärzte und überbetriebliche Dienste zur Erhöhung der Aufmerksamkeit für den Arbeitsschutz beim Umgang mit CNT einsetzen können.
Prof. Rainer Schweizer, Staatsrechtler an der Universität St.Gallen konstatierte, dass in der Nanotechnologie Entwicklungslücken vorlägen, bei denen wichtige Gefahren annähernd bekannt sind, aber technologisch noch nicht beherrschbar seien. Seiner Ansicht nach können sich Hersteller zum heutigen Zeitpunkt nicht mehr darauf berufen, dass Nanomaterialien ein Entwicklungsrisiko darstellen und damit sie sich damit der Haftung entziehen können. Es gebe mittlerweile genügend Hinweise, dass gewisse Nanomaterialien bei bestimmten Expositionen gefährlich für Mensch und Umwelt sein könnten. Gemäss den grundrechtlichen Schutzpflichten nach dem Vorsorgeprinzip trägt der Staat in dieser Situation eine Verantwortung. Weitere Rechtsbereiche sind insbesondere im Gesundheitsschutz der Arbeitsnehmenden und in der Produkthaftpflicht zu suchen.
Ausblick
Die Konferenz endete mit der Ankündigung des 8. Internationalen Behördendialogs, der am 14. und 15. Mai 2014 stattfinden wird.
Quelle: Die Innovationsgesellschaft, St.Gallen