Open Innovation Monitor in NZZ: Globale Quellen sprudeln lassen
Das weltumspannende und rasante Aufkommen sozialer Medien und des Internets revolutioniert die Wertschöpfungsketten und zwingt Unternehmen offene Innovationensprozesse zu implementieren. Mittels Crowdsourcing lässt sich dieser Prozess beschleunigen. Als grösster Hemmschuh bei der Nutzung wird der (vermutete) Mangel an Vertraulichkeit bezeichnet. Dies jedenfalls geht aus dem «Open Innovation Monitor 2012» hervor, einer von der Innovationsgesellschaft St. Gallen und der dortigen Fachhochschule durchgeführten Umfrage bei 219 deutschsprachigen Führungskräften.
Arbeitswelt: Crowdsourcing beschleunigt das Innovationsmanagement
Werner Knecht
Wohl niemand zweifelt am Urteil des amerikanischen Ökonomen Peter Drucker (1909-2005), wonach das Wissen neben Boden, Arbeit und Kapital den vierten Produktionsfaktor bildet und damit eine grundlegende Ressource verkörpert. Was hingegen der Management-Guru nicht ahnen konnte, ist die weltumspannende Rasanz beim Aufkommen sozialer Medien und des Internets, die die gesamte Wertschöpfungskette revolutioniert und die Unternehmen zur ebenso rasanten Implementierung offener Innovationsstrategien zwingt, wollen sie überleben. Immerhin erkannte Drucker die Fruchtbarmachung der Wissensressourcen als künftigen Schwerpunkt der Managementfunktionen – da kommt das Crowdsourcing gerade zum richtigen Zeitpunkt.
Offene Innovationsprozesse
Der Modebegriff umschreibt die durch soziale Medien und Internet möglich gewordene Nutzung der sogenannten Schwarmkreativität, indem man unternehmensexterne Quellen – sogenannte Crowdsources – als Problemlöser und Ideenlieferanten einspannt. In der Tat klingt die Idee bestechend: Denn wer weiss besser als der Kunde, was dieser genau wünscht, welche Ideen seine Zustimmung finden und welche er als «daneben» einstuft? Das Web als globale Fokus-Gruppe ersetzt zumindest die teuren Produkt-Design-Fokus-Gruppen, und dank dem Zusammentragen der Kundenwünsche via Community-Portale lassen sich Produkte bedarfsspezifisch weiterentwickeln.
«Alle Systeme einer Organisation werden vom Crowdsourcing tangiert und müssen sich öffnen», ist Karin Frick, Forschungsleiterin am Gottlieb-Duttweiler-Institut (GDI) Rüschlikon, überzeugt. Laut ihr dürfte die permanente Interaktion mit dem Kunden für zahlreiche Produkt- und Dienstleistungsbereiche an Bedeutung gewinnen und zum wichtigen Marketinginstrument werden. Offene Innovationsprozesse lösten zunehmend hierarchische Strukturen ab, wobei die wachsende Crowdsourcing-Implementierung ihrerseits die Schwarmkreativität beflügle und zu deren Weiterentwicklung und zum gesteigerten Bekanntheitsgrad beitrage, resümiert Karin Frick als Head Think-Tank der Gottlieb-Duttweiler-Institute.
Die Hersteller sparen dank Crowdsourcing Geld und können vor allem bei eher einfacheren Produkten wie beispielsweise Accessoires, Modeartikeln und Turnschuhen die Marktforschung zurückfahren. Komplexere Fragestellungen hingegen – etwa Hightech-Produkte, Rezepturen, patentgeschützte Entwicklungen – wirken limitierend. Wenn sich die Einstiegskosten für die Weiterentwicklung dieser Projekte als sehr hoch erweisen, dürfte denn auch die konventionelle Entwicklung im Sinne eines IBM-Forschungslabors sinnvoller sein. Bahnbrechende Innovationen hingegen kommen häufig von aussen, vom Schwarm. Allerdings braucht die Menge ein – wie auch immer geartetes – Anreizsystem. Fehlt dieses, nützt es nicht viel, beispielsweise ein Programm zu Open Source zu erklären in der Hoffnung, dass sich ein Entwicklerschwarm finde, der es weiter wartet und pflegt.
Die wichtigste Crowdsourcing-Herausforderung liegt tatsächlich in den Motivationsanreizen. Entweder basiert die Motivation auf Geldanreizen oder der Freude am Mitwirken bei Problemlösungen (extrinsisch), oder aber sie wird als Dienst an der Gemeinschaft (intrinsisch) verstanden. Als grösster Hemmschuh bei der Nutzung wird der (vermutete) Mangel an Vertraulichkeit bezeichnet. Dies jedenfalls geht aus dem «Open Innovation Monitor 2012» hervor, einer von der Innovationsgesellschaft St. Gallen und der dortigen Fachhochschule durchgeführten Umfrage bei 219 deutschsprachigen Führungskräften. Laut dieser Studie* wird nur bei 22 Prozent der Organisationen die Methode eingesetzt – mit entsprechend magerer Marktpenetration.
Für gewisse Aufgaben braucht es zumindest eine kritische Masse, gibt Peter A. Gloor vom MIT Center for Collective Intelligence zu bedenken. Der aus der Schweiz stammende, international tätige Wissenschafter erforscht die Schwarmkreativität und exemplifiziert die Herausforderung anhand eines Marktplatzes: Sprachabhängige Massenaufgaben wie etwa das «Beurteilen von Texten auf Schwizerdütsch» könnten mit «Amazon Mechanical Turk» kaum abgewickelt werden, da keine kritische Masse von Schweizerdeutsch sprechenden «Amazon-Mech-Turk»-Mitgliedern existiere. Zudem brauche es ein offenes Internet, weshalb etwa in Iran das Crowdsourcing im westlichen Sinne für Innovationsaufgaben nicht funktioniere.
Laut Gloor erweisen sich ganz unterschiedliche Verfahren als sinnvoll, je nach Struktur des Crowdsourcing-Prozesses. Für einfache, repetitive Aufgaben empfiehlt er einen gängigen Marktplatz oder die Entwicklung eines einfachen Crowdsourcing-Spiels; komplexere Forschungsideen wiederum benötigen entsprechende Ideenmarktplätze. Ist die Aufgabenstellung indessen zu spezifisch, erweisen sich erfahrungsgemäss die eingereichten Ideen als nicht besonders hilfreich. «Die Kunst liegt darin, die Aufgabe emotional <richtig> zu verkaufen.» Karin Frick ihrerseits analysiert die absehbare Entwicklung dahingehend, dass sich Erfolgsmuster nach und nach herauskristallisieren; dies gelte besonders auch für die Anreizsysteme. Ihr Fazit: «Wer Resonanz auslöst, hat Potenzial.» Allerdings müssten die Firmen die Community früh einbeziehen und ihre Karten offen auf den Tisch legen. Eine Knacknuss, denn: «Feind hört mit!»
Kollektive Intelligenz
Wird Crowdsourcing die Geschäftswelt nachhaltig verändern, oder handelt es sich nur um ein temporäres Phänomen? «Solange wir das Internet, Wikipedia, Open Source, Twitter, Facebook haben, wächst auch Crowdsourcing», ist der MIT-Forscher überzeugt. «Es wird allerdings mehr und mehr Aspekte kollektiver Intelligenz annehmen.»
Diese ist durchaus noch entwicklungsfähig, wie ein Beispiel aus den USA zeigt, wo Crowdsourcing auch politisch – beispielsweise vom Weissen Haus – eingesetzt wird. So wurde eine Online-Petition zur Ablösung von Texas von den USA von 100 000 Personen unterschrieben, obwohl viele von ihnen gar nicht aus Texas stammen. Eine weitere Schwachstelle betrifft die Manipulierbarkeit der Methode, indem sich der Schwarm ganz einfach kaufen lässt. Diese mit «Gaming the system» umschriebene Schummelei ist laut «New York Times» weit verbreitet, würden doch bis zu 50 Prozent aller auf Amazon aufgeschalteten Buch- und Produkte-Reviews von bezahlten Gefälligkeitsgutachtern geschrieben. Ob die kollektive Intelligenz dereinst dieses kriminellen Humbugs Herr wird, muss sich noch weisen.
Quelle: NZZexecutive am 5./6. Januar 2013
Autor: Werner Knecht
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